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Inklusion am Arbeitsplatz ist kein Hexenwerk.

WirWirkt Kaffeepause mit… Marion S. Frohn, Geschäftsführerin der Behinderten-Gemeinschaft Bonn.

Ich spreche mit Marion, weil

  • sie mit Herzblut für mehr Teilhabe und Inklusion eintritt und ein Glücksfall für die Behinderten-Gemeinschaft Bonn ist,

  • sie mich bei jedem Treffen mit ihren Ideen und Gedanken neu inspiriert,

  • ich für mehr Inklusion in Unternehmen und der Gesellschaft werben möchte.

Was ist dein Beruf?

Ich bin Sozialpädagogin und Geschäftsführerin der Behinderten-Gemeinschaft Bonn (BG Bonn). Die BG Bonn ist ein gemeinnütziger Verein, der hier in Bonn die Aufgabe der Behindertenbeauftragten hat. Dieses Konstrukt ist bundesweit einmalig. Unser haupt- und ehrenamtliches Team setzt sich zusammen aus Menschen mit und ohne Behinderung. Wir arbeiten alle gemeinsam am Thema Inklusion und Teilhabe für Bonn.

Was ist sonst noch wichtig über dich zu wissen?

Außerdem bin ich Expertin für das Thema Leichte und Einfache Sprache. Das heißt, ich übersetze Texte und zeichne Piktogramme dazu, damit Menschen, die sprachlich nicht so fit sind, auch Texte gut verstehen können. Ich bin leidenschaftliche Tänzerin und tanze in der Bonner Inklusions-Tanzgruppe InkluDanza.

Lass uns bitte vorab eine Begriffsklärung machen. Es gibt verschiedene Ausdrucksweisen, wenn von Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen gesprochen wird. Ich höre und lese von Gehandicapten, Menschen mit Beeinträchtigung oder Lerneinschränkungen, behinderten Menschen, Menschen mit Behinderung. Wie schreibe und sage ich es richtig?

Das ist eine sehr schwierige Frage, weil uns das auch so geht. Gehe ich von der politisch allgemein ausgedrückten Form aus, spricht man von Menschen mit Behinderungen. So handhabt es auch die Aktion Mensch. Es kann sein, dass die Zielgruppen je nach Bereich eine andere Formulierung wünschen. Wenn jemand sagt, er oder sie möchte anders bezeichnet werden, dann respektiere ich das.

Mein Eindruck und meine Erfahrungen sind, dass es in Unternehmen noch viel Nachholbedarf gibt, Menschen mit Behinderung zu integrieren. Wie ist Deine Erfahrung? Gibt es dabei Unterschiede hinsichtlich Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung?

Laut den Statistiken wurden in den letzten 3 Jahren weniger Menschen mit Behinderung eingestellt. Es gibt wieder viel mehr langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderungen. Das ist sicherlich Corona geschuldet. Vor Corona waren wir der Inklusion am Arbeitsplatz näher, denn die Einstellungszahlen waren seit 2016 positiv in die Höhe gegangen.

An manchen Stellen fängt man wieder von vorne an, Arbeitgebenden die Unterschiede zu erklären. Angenommen, ich habe einen körperlich beeinträchtigten Menschen, der eine Ausbildung gemacht hat und sein Fachgebiet versteht. Dann muss ich vielleicht in Anführungsstrichen „nur“ dafür sorgen, dass eine Rampe vorhanden und der Arbeitsplatz barrierefrei eingerichtet ist. Hier muss ich Aspekte der Kommunikation nicht besonders berücksichtigen.

Integriere ich aber Menschen mit einer kognitiven Behinderung, dann muss ich anders kommunizieren und mich als Arbeitgebender auf Leichte Sprache einstellen. Wie gebe ich Arbeitsanweisungen, damit der Mensch versteht, was ich von ihm möchte? Muss ich vielleicht mit speziellen Software-Programmen arbeiten oder bei Gehörlosen mit einem Gebärdendolmetschenden? Bei blinden Menschen gibt es Hilfsmittel, die bei der Arbeit am Computer gebraucht werden. Benötige ich einen Screenreader oder eine Brailleschrift-Tastatur?  Inklusion am Arbeitsplatz ist kein Hexenwerk. Der betroffene Mensch weiß am besten, was ihm hilft. Unternehmen können umfangreiche Unterstützung durch externe Stellen erhalten, beispielsweise durch den Integrationsfachdienst oder Inklusionsberatungen des Jobcenters.

Was wünschst du dir denn in deiner Rolle als Behindertenbeauftragte der Stadt Bonn von hiesigen Arbeitgebern?

Als Behindertenbeauftragte wünschen wir uns, dass bei den Arbeitgebenden das Thema Inklusion und Teilhabe höher auf der Prioritätenliste steht. Dass Menschen mit Behinderung öfter eine Chance erhalten, in einem Unternehmen anzukommen. Natürlich benötigen diese Menschen manchmal mehr Zeit für die Einarbeitung. Unternehmen melden uns aber auch zurück, wie wertvoll es ist, diesen Prozess zu gehen. Weil es sensibilisiert, weil es ein Wir-Gefühl stärken kann, weil vielleicht genau die unkonventionelle Art des Mitarbeitenden mit Behinderung dazu beiträgt, dass man auch mal ganz anders denkt.

Durch meine Tanzkurse tauche ich in eine andere Kultur ein. Wenn ich Gehörlosen begegne oder mit Menschen mit geistiger Behinderung tanze, lerne ich deren Art des Lebens kennen. Ich finde es sehr, sehr bereichernd und extrem motivierend mitzubekommen, wie sie ihr Leben gestalten. Deswegen fände ich es schön, wenn Arbeitgebende mehr Mut hätten, sich auf Menschen mit Behinderung einzulassen.Schließlich gibt es verschiedene Partner und Partnerinnen auf dem Arbeitsmarkt, die Unternehmen dabei begleiten. Oftmals gibt es auch finanzielle Unterstützung.

Siehst du da besondere Anforderungen an Führungskräfte?  

Ich sag es mal so: In allen Unternehmen steht das Thema Diversity groß auf der Fahne. Diversity bedeutet Vielfalt und es bedeutet, Vielfalt akzeptieren. Eine Haltung dem Gegenüber zu haben, dass es Menschen gibt, die sehr unterschiedlich sind, die aus anderen Kulturen kommen, die unterschiedliche Fähigkeiten haben. Da die Verpflichtung zum Thema Diversity in Unternehmen schon da ist, müssen sie nichts anderes machen, als Diversity zu übertragen.

Ich erwarte von den Unternehmen, dass sie allen Menschen gegenüber eine gute Haltung, einen respektvollen und verständnisvollen Umgang zeigen. Manchmal geht es um eine Enttabuisierung. Den Mitarbeitenden sollte Raum für ihre Unsicherheiten gegeben werden, dass sie Fragen zum Umgang mit Menschen mit Behinderung stellen oder Ängste äußern können.

Wird das Thema Diversity in Unternehmen zu oberflächlich betrachtet?

Das würde ich jetzt nicht so pauschalisieren. Wir können uns immer fragen: Wie sieht das aus mit den CSR-Berichten, wie sieht es aus mit Leitbildern in Unternehmen? Wir wissen ja alle, wie sowas entsteht.  Es hat immer etwas mit Haltung der Menschen im Unternehmen zu tun. Führungskräfte nehmen dabei eine ganz wichtige Rolle ein. Eine Führungskraft muss eine Haltung vorleben.  Sie muss gegensteuern, wenn Diversity nicht in dem Sinne des Unternehmens gelebt wird. Ich würde niemandem unterstellen, dass Diversity grundsätzlich ein Feigenblatt ist.

Wir hören oft: Wenn ich Zeit habe, dann kümmere ich mich um Inklusion. Darauf reagieren wir allergisch, wenn wir erst darauf hinweisen müssen, dass wir eine UN-Behindertenrechtskonvention seit 2009 haben. Das ist nicht nur ein Papier, das irgendwelche sozialen Einrichtungen mit Menschen mit Behinderungen betrifft. Inklusion und Teilhabe betrifft die gesamte Gesellschaft. Teammitglieder in Unternehmen können ihren Beitrag leisten, um Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung zu integrieren. Zum Beispiel Brücken bauen, wenn es darum geht, gemeinsam das Mittagessen einzunehmen. Oder echtes Interesse bei der Kollegin zu zeigen, wie denn der Screenreader funktioniert. Bei Betriebsausflügen können Menschen mit Behinderung im Orgateam mitmachen, damit auch wirklich alle an dem Teamevent teilnehmen können.

Inklusion hat immer was mit Einlassen zu tun. Das habe ich in der langjährigen Zusammenarbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung gelernt. Mich einzulassen auf die Art und Weise, wie kommuniziert wird. Selbst wenn der Mensch eben nicht das gesprochene Wort beherrscht, sondern man zwischen den Zeilen lesen muss, was er damit ausdrücken möchte. Ich erlebe oft, wieviel kluge Sachen diese Menschen sagen und bin manchmal fasziniert von der Art und Weise, wie sie es ausdrücken.

Im Rahmen von WirWirkt-Teamworkshops gehe ich manchmal mit Teams in gemeinnützige Organisationen, damit sie andere Lebens- und Arbeitswelten erleben und Ungewohntes außerhalb ihrer Komfortzone spüren. Was könnten Teams lernen, wenn sie einen Tag lang Menschen mit Behinderungen begleiten und sich austauschen?

Als erstes lernen sie, dass es nicht DEN Menschen mit Behinderungen gibt. Also, dass es nicht eine einzige Behinderungsart gibt, weil es vielleicht medial eher einseitig dargestellt wird. Ich habe das gerade mit jungen Frauen und Männern, die Architektur studieren, erlebt. Bei Barrierefreiheit dachten sie zunächst nur an den Aufzug, vielleicht noch an einen sprechenden Aufzug oder an eine Rampe für Rollstühle. Ihnen war es nicht bewusst, dass es auch kleinwüchsige Menschen gibt oder dass man mit Leichter, Einfacher Sprache arbeiten sollte. Oder dass es für gehörlose Menschen ganz andere Signale braucht. Und das ist das, was Teams lernen können: Wie individuell Menschen sind und wie individuell Menschen mit Behinderung kommunizieren.

Lernt man Menschen mit Behinderung etwas näher kennen, sind viele überrascht, wie selbstständig bestimmte Dinge auch funktionieren oder dass Menschen mit Behinderungen ihre Mechanismen haben, um Dinge zu bewältigen. Teammitglieder erfahren oft, wie gut es ihnen eigentlich geht. Im Austausch mit Menschen mit Behinderungen entstehen manchmal ganz tiefe Beziehungen, sodass daraus ein ehrenamtliches Engagement erwächst.

Gibt es etwas, was du mich doch fragen möchtest?

Ja, wie schaffst du es Unternehmen dafür zu begeistern, im Rahmen einer Teambuilding-Maßnahme soziales Engagement zu zeigen?

Ehrlich gesagt ist das nicht einfach. Die Grundidee, im Rahmen einer Teamentwicklung ein soziales Projekt zu integrieren, finden die meisten toll. Schwieriger wird es, diese soziale Komponente wirklich in einem Workshop umzusetzen. Da fehlt es schon mal an Mut. Zum Teil liegt es an Berührungsängsten. Also, können wir den Teammitgliedern zumuten, mit Obdachlosen, Flüchtlingen oder Menschen mit Behinderungen in Kontakt zu kommen? Denn das bedeutet für die Mitarbeitenden oft, weit aus der Komfortzone herausgehen. Das kann abschreckend wirken. Und dann ist es oft schlicht ein Ressourcenthema. Manche Unternehmen wollen oder können sich diesen zusätzlichen Workshoptag nicht leisten, um ihn in eine Teamentwicklung einzubetten.  Auch wenn sich dadurch nachhaltig Wirksames auf die Beine stellen ließe.

Und dann lag Marion noch etwas auf dem Herzen. Einen Wunsch, den sie mit auf dem Weg geben wollte:

Wenn wir als Behinderten-Gemeinschaft Bonn mit Unternehmen bei einem Freiwilligentag, einem social day, zusammenarbeiten, ist das ein gemeinsames Abenteuer. Wir überlegen unkonventionelle Settings oder Projekte, bei denen der Dialog im Vordergrund steht. Ich wünsche mir, dass sich mehr Unternehmen auf ein Experiment mit uns einlassen. Da kommen meistens coole Sachen heraus. Menschen mit Behinderungen fühlen sich wertgeschätzt, wenn ihnen ehrliches Interesse entgegengebracht wird. Sie wollen keine Almosen. In meinem Runden erlebe ich, dass Menschen mit Behinderung nach solchen Begegnungen dürsten, bei denen sie aus ihrem regulären Alltag herauskommen. Sie lernen viel daraus und entwickeln sich selbst weiter. Letztendlich profitieren immer beide Seiten von der gemeinsamen Aktion.


In der WirWirkt Kaffeepause treffe ich mich mit Frauen und Männern aus meinem Netzwerk, die etwas zu sagen haben. Wir sprechen über Themen rund um Teamentwicklung, Teambuilding, Teamcoaching, Teamworkshops, Führung, Change, Veränderungen in der Arbeitswelt.

Walking Football: über die Entstehung eines besonderen Teams

Walking Football hatte ich das erste Mal auf einem Vereinsmanager-Lehrgang kennengelernt und ausprobiert.  Ich war sofort begeistert und wollte es direkt in meinem Heimatverein Hertha Bonn einführen. Walking Football kommt aus England. Dort richtet es sich als ein gesundheitsorientiertes Angebot an eher ältere Semester, die nicht mehr richtig kicken können, aber noch wollen.

“Walking Football? Gehfußball? Wat is’n dat für’n Quatsch?“  

Nur wenige sprachen es aus. Viele dachten es sich, als ich davon bei mir im Verein vorschwärmte. Wie so oft, wenn Menschen auf Unbekanntes, auf Ungewohntes und in der Fußballwelt gar auf Unvorstellbares stoßen, gehen sie zuerst in die Ablehnung.

Doch davon habe ich mich nicht beirren lassen und mit Unterstützung des Fußball-Verbandes Mittelrhein einen Aktionstag organisiert. Das erste Schnuppertraining war ein Flop. Außer ein paar mir wohlgesonnenen Männern aus der Alte-Herren-Abteilung kam keiner. Das Projekt stellten wir zunächst wieder ein. Nur einer der Teilnehmer war direkt begeistert. Mit ihm verbündete ich mich am Tresen. Und wir starteten ein Jahr später einen neuen Anlauf. Mit mehr Werbung und viel persönlicher Überzeugungsarbeit. 

Trotz des Widerstandes - oder besser ausgedrückt - trotz des Unverständnisses vieler Vereinsmitglieder blieben wir bei der Sache, hielten durch und konnten tatsächlich eine Walking Football Mannschaft im Verein gründen. 

Eine richtig bunte Gruppe von Menschen, die sich zu einem echten Team entwickelt hat:

Heterogenität ist ein entscheidendes Merkmal. In der Mannschaft kicken Frauen und Männer im Alter von Anfang 30 bis 71 Jahre. Uns haben sich Frauen angeschlossen, die früher noch nie gegen einen Ball getreten hatten, aber auch Landesliga-erfahrene Altkicker. Frauen, die noch topfit sind und Männer, die schon die ein oder andere körperliche Einschränkung haben. Den inklusiven Charakter dieser Fußballart haben wir schnell gespürt. Auch einen blinden Kicker integrieren wir ins Spiel. 

Die wichtigste Regel für Neugierige: einfach kommen und es ausprobieren.

Wer sich auf Walking Football einlässt, wird zum Musterbrecher. Denn hier gelten andere Regeln als im normalen Fußball: 

  • Nur gehen, nicht laufen.

  • Harter Körperkontakt ist nicht erlaubt.

  • Der Ball darf nur hüfthoch geschossen werden. Richtwert ist das 1 m hohe (und 3 m breite) Tor.

  • Abseits und Torhüter gibt es nicht.

  • Es spielen 6 gegen 6 (flexibel).

  • Die Spielfeldgröße ist 42m x 21m (flexibel).

 Warum funktioniert Walking Football bei Hertha Bonn so gut?

  • Alle haben ein gemeinsames Anliegen: Sie haben Freude an der Bewegung, möchten etwas Gutes für ihre Gesundheit tun und in der Gemeinschaft Spaß haben.

  • Jeder respektiert die Eigenheiten der Anderen.

  • Erfahrene Spieler nehmen sich in ihrem sportlichen Ehrgeiz zurück und integrieren die eher Schwächeren.

  • Die Unerfahrenen sind bereit zu lernen und zu trainieren.

  • Das gemeinsame Spiel ist das Ziel, nicht das Ergebnis. Bei uns enden alle Spiele grundsätzlich unentschieden.

Bis heute sind wir das erste und einzige Gehfußball-Team in Bonn. 

Bei der Gründung und Entwicklung des Walking Football Teams habe ich vieles erlebt, was auch im Berufsalltag gilt: 

  • Wenn du von einer Sache wirklich überzeugt bist, halte durch, bleibe hartnäckig und gib nicht nach den ersten Widerständen und Fehlschlägen auf. 

  • Oft reichen kleine Hebel, um Größeres anzustoßen und nachhaltig zu wirken. Hier reichte es, an einem Wochenabend ein Viertel des Fußballplatzes bereitzustellen, einen ehrenamtlicher Übungsleiter zu finden und die Offenheit zu zeigen, neue Menschen zu integrieren.

  • Bevor du über Ungewohntes urteilst, probiere es zumindest einmal aus. 

  • Jeder Mensch hat Talente und kann einen wichtigen Beitrag fürs Team leisten. Unabhängig von Geschlecht, Erfahrungen, Bildung oder Herkunft.

  • Ein Team funktioniert besonders gut, wenn alle Mitglieder ihre Teilnahme für sich als sinnstiftend ansehen.

Mehr Infos und einen kleinen Fernsehbeitrag über Walking Football bei Hertha Bonn findet Ihr hier: https://www.herthabonn.de/senioren/alte-herren/walking-football/

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