Erfolgreiche Teams brauchen schamlose Menschen

WirWirkt Kaffeepause mit… Ivor Beck, Experte für Organisationssoziologie und CEO von adair.

WirWirkt Kaffeepause mit Ivor Beck über Teamentwicklung

Ich spreche mit Ivor, weil

  • er das inhaltliche Brain hinter der adair Software ist. Diese misst die Kultur in Organisationen und wie Teams wirklich ticken.

  • er meine Neugier schon in den ersten Minuten unseres Kennenlernens weckte, als er sehr pointiert über sein Steckenpferd der Organisationssoziologie sprach.

  • mehr Menschen über sein Wirken erfahren sollten.

 

Was ist dein Beruf?

Ich bin Experte für Organisationssoziologie. Ich habe dem Thema die letzten 20 Jahren meines Lebens gewidmet, weil ich finde, dass wir in der Wirtschaft viel zu sehr die Psychologie von Einzelpersonen auszusteuern versuchen, obwohl die Kraft von Unternehmen sich eher aus den Fähigkeiten von Gruppen und Teams ergibt.

 

Was ist sonst noch wichtig über dich zu wissen:

Ich rede gerne in Auto-Metaphern, weil das Fahren ein hoch komplexes, soziales Ballett ist, das dem Unternehmensalltag sehr gleicht. Es gibt kaum schönere Begriffe als Stau, Leitplanken oder verengte Fahrbahn, um Situationen in der Organisationssoziologie zu erklären.

 

Angenommen deine Zwillinge wären schon fünf Jahre alt. Wie würdest du ihnen erklären, was adair macht und was das Besondere ist?

Wenn ihr bei Freunden zu Besuch seid, dann laufen die Dinge in ihrer Familie anders als bei uns. Sie laufen nicht besser oder schlechter, sondern einfach anders. Jede Familie hat ihre Eigenarten, ihre Geheimsprache, ihre eigenen Witze. Sie essen andere Dinge und kümmern sich anders um ihre Blumen. Wenn wir jetzt mit einer anderen Familie in ein neues, großes Haus ziehen würden, oder sie bitten, sich in den Ferien um unsere Blumen zu kümmern, wäre es hilfreich, all diese Besonderheiten genau zu kennen. Adair hilft uns zu verstehen, wie große Familien funktionieren. Oder große Supermärkte, Banken oder Fabriken. Und das viel schneller und genauer als andere, weil wir das schon sehr, sehr, sehr lange machen und dabei Computer nutzen.

 

Eure Software misst einundzwanzig Key-Behavior-Indicators. Bei schlechten Ergebnissen welcher Indikatoren schrillen bei dir so richtig die Alarmglocken?

Es ist normal, dass Unternehmen nicht in allem gut sind. Die Frage ist immer, ob ein Defizit einen Kernbereich berührt. Was mich in der Regel mehr bekümmert als ein einzelner Indikator ist es, wenn eine bestimmte Gruppe beständig abweicht. Ob nun von den übrigen Teams im Unternehmen oder von den üblichen Handlungsnormen. Dann muss man ganz genau und vorsichtig nachforschen, ob dieses Team in seiner Entwicklung weit vor den Kollegen ist und die Zukunft des Unternehmens ist oder eher hinterherhinkt. Es kann auch ein Zeichen für Ausgrenzung sein oder für nicht funktionierende Kommunikation.

 

Die Bedeutung von Vielfalt in Teams wird oft betont. Was bedeutet für Euch Vielfalt?

In der Wirtschaft versteht man unter Vielfalt in der Regel das Zusammenbringen verschiedener Lebensrealitäten, also diverser Herkünfte, Altersklassen oder Geschlechter. In der Soziologie wissen wir aber, dass die Magie in der Vielfalt von Herangehensweisen steckt. Vielfalt bedeutet in der Soziologie also nicht, dass wir alte und junge Leute, behinderte oder nicht-behinderte, oder Leute aus allen Kontinenten haben. In der Soziologie beutet Vielfalt: Wir haben eine pingelige Erbsenzählerin, einen kreativen Freigeist, eine absolute Fachexpertin und eine Person, die sich gerade erst frisch in ein Thema einarbeitet.

 

Hast du schon Situationen in Teams erlebt, wo Hopfen und Malz verloren war? Jede Investition in Teamentwicklung rausgeschmissenes Geld gewesen wäre?

Ja, vor circa zehn Jahren. Das Team war oberflächlich betrachtet gut durchmischt: Frauen und Männer, Junge und Alte, Doktoren und Handwerker. Sie steuerten ein weltbekanntes Produkt aus der Chemieindustrie. Sie hielten jedoch ganz entspannt und gemächlich an Arbeitsweisen aus den 60er Jahren fest. In ihrem Verhalten war diese sehr vielfältige Gruppe eher gleichgeschaltet. Sie konnten sich das auch leisten: Mit dem patentierten Goldesel, den sie verwalteten, konnte auch bei schlimmstem Management nichts schiefgehen. Ich fühlte mich dort immer wie in der Amtsstube beim Hauptmann von Köpenick. Das war jedoch inkompatibel zum Rest des Unternehmens, das sehr weltoffen und modern war, ständig neue Produkte an den Markt brachte und sehr entschlossen und schnell handelte.

Wir hatten ein ordentliches Budget, und das betreffende Team hat jeden Schritt, jeden Impuls bereitwillig mitgetragen. Jedoch auf eine distanzierte, fast gleichgültige Art. Nach anderthalb Jahren sind wir gegangen, ohne irgendeinen Effekt zu erzielen. Seitdem ist diese Unit durch die Hände mehrerer Finanzinvestoren gereicht worden. Wir waren also zumindest nicht die einzigen, die sich an ihnen die Zähne ausgebissen haben.

 

Wann und wieso hat dich eine Organisation mal so richtig positiv überrascht?

Ich hatte ein paar Mal die Situation, dass wir schneller weitergekommen sind als ursprünglich gedacht. Das Gemeinsame dieser Situationen war, dass in der Unternehmensführung noch einer der Gründer aktiv war. Also nicht jemand aus der Gründerfamilie, sondern jemand der gehungert und Hypotheken aufgenommen hat, um das Unternehmen aufzubauen.

Solche Manager nehmen Teamentwicklung in der Regel sehr ernst, weil sie am eigenen Leib erfahren haben, dass der Aufbau eines Unternehmens eigentlich der Aufbau eines Teams ist. Mein Lieblingszitat eines dieser noch aktiven Gründer in einem Handelskonzern war: „Ich könnte mit dieser Truppe morgen hiermit aufhören und eine erfolgreiche Dönerkette starten oder Möbelhersteller werden.“

Diese Manager bauen Teams aus Menschen mit bestimmten Beweggründen. Ihnen ist Teamentwicklung außerordentlich wichtig, und sie bekommt extreme Unterstützung. Damit meine ich gar nicht dicke Budgets, sondern zum Beispiel zu dulden, dass bei einer Umstellung der Arbeitsweisen in Teams die Produktivität erstmal für ein paar Monate oder sogar ein Jahr absackt. So wie man nervige Autobahnbaustellen hinnimmt, weil es danach dann deutlich besser wird.

 

Erkenntnisse sind gut. Entscheidend ist die Umsetzung. Was empfiehlst du Verantwortlichen in Organisationen, damit Change Maßnahmen wirkungsvoll sind?

Also die Empfehlungen von adair haben eine Wirksamkeit von 91%, weil sie genau zu der objektiv gemessenen Situation eines Teams passen. Das ist oft tatsächlich der fehlende Faktor. Change-Berater wenden oft einfach nur dieselben paar Maßnahmen an, die sie gut beherrschen. To a man with a hammer, everything looks like a nail.

Ein weiterer Punkt ist, dass Change-Verantwortliche mit den Teams auf einen besseren Stand kommen möchten, aber Bitteschön ohne lange Bauarbeiten. Wenn die alten Arbeitsweisen noch mühelos und bequem sind und neue Methoden noch nicht etabliert, sind Veränderungsprozesse so ähnlich, wie wenn man sich in England an den Linksverkehr gewöhnt. Es dauert eine gewisse Zeit, bis man genauso routiniert und mühelos durch den Verkehr kommt wie zu Hause. Das Neue bringt mich also auf ein anderes Niveau, aber noch nicht mit Leichtigkeit und erst recht nicht sofort. Diese Phase, das Neue nicht nur zu lernen, sondern auch effektiv anzuwenden, dauert. Das wird maximal unterschätzt. Verantwortliche müssen akzeptieren, dass bei einem Prozessmusterwechsel die Produktivität sinkt, bis der neue Prozess Gewohnheit ist. Dieses Tal der Tränen muss man kennen, akzeptieren und als unumgänglich begreifen. Dann kann man es einplanen und vor allem vermeiden abzubrechen, bevor man die Früchte dieser Arbeit erntet.

 

Was ist die unerlässliche Basis für erfolgreiche Teams? Welche Zauberworte kannst du da nennen?

Rollenklarheit, Schamlosigkeit, Komplementarität. Ich will das erläutern:

Rollenklarheit: Damit meine ich natürlich erstmal, dass jeder im Team weiß, was er selbst zu erledigen hat und wer für welches andere Thema verantwortlich ist. Wir haben in Deutschland aber leider ein furchtbares Sprachproblem mit dem Begriff der Verantwortung. Im Englischen unterteilt er sich in Responsibility und Accountability, also ob ich Fragen zu einem Vorgang beantworten kann oder ob ich für einen Vorgang geradestehe. Bei der Rollenklarheit ist es also wichtig zu wissen: muss ich nur alles zu einem Prozess wissen und ihn abwickeln? Oder stehe ich am Ende dafür gerade? Das verschwimmt sehr häufig, tatsächlich meistens in deutschsprachigen Teams.

Schamlosigkeit: Ein erfolgreiches Team empfindet sowohl massives Scheitern als auch massiven Erfolg als normal und denkbar. In einem schamlosen Team kann ich offen sagen: „Ich habe es verbockt. Ich wollte unbedingt Superbowl gucken, bin jetzt unausgeschlafen und war nicht aufmerksam.“ Eine solche Offenheit ist in den meisten Teams undenkbar. Bei Hochleistungsteams kann ich mich jedoch ohne große Emotionen und viel Trara als unvollkommenes Wesen zu erkennen geben. Ich gebe den anderen sowohl die Möglichkeit, mich für meine Leistungen zu bewundern, als sich auch über meine Schludrigkeiten zu ärgern. Funktionierende Teams können Vieles ansprechen, aber erfolgreiche Teams sind schamlos und hauen alles raus. Erst dann sind die Bedingungen der Zusammenarbeit vollkommen transparent, erst dann gibt’s zumindest von Innen kaum noch Überraschungen.

Komplementarität: Spezialistentum ist wichtig, aber Vielfalt ist besser. Es ist immer besser, wenn zwei Leute zur Hälfte an einem Thema arbeiten, als wenn eine Person es alleine abdeckt. Effizienter ist es mit einer Person, weil die Transaktionskosten entfallen. Erfolgreicher ist es aber fast immer zu zweit. Es lohnt sich also Aufgaben zu kreieren, die zwei Expertisen vereinen, sodass Menschen mit komplementären Fähigkeiten gemeinsam an etwas arbeiten. Denn wenn für eine Aufgabe nur eine Person zuständig ist, fehlt oft der frische Impuls.

 

Gibt es etwas, das du mich noch fragen möchtest?

Findest Du, dass wirklich richtig gute Teams nie und nimmer aufgelöst werden dürfen? Muss man an Ihnen unbedingt festhalten?

Nein, weil es kein Dauerzustand sein wird. Das Team wird irgendwann in der Entwicklung verharren und dann wird es keinen Fortschritt mehr geben. Ich bin überzeugt, dass gewisse Wechsel von Zeit zu Zeit immer guttun. Ein Team, das immer zusammenbleibt und immer super erfolgreich ist, kann ich mir nicht vorstellen.


In der WirWirkt Kaffeepause treffe ich mich mit Frauen und Männern aus meinem Netzwerk, die etwas zu sagen haben. Wir sprechen über Themen rund um Teamentwicklung, Teambuilding, Teamcoaching, Teamworkshops, Führung, Change, Veränderungen in der Arbeitswelt.